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Zwei Arten von Gerechtigkeit

Wer diese Geschichte vom Weinbergbesitzer hört, denkt normalerweise: Ja, sehr schön! Jesus redet von einem gerechten Gutsherrn. So wie dieser Mann handelt, müsste es wohl zu und hergehen in dieser Welt.

Aber: Es ist ja klar, dass das ungerecht wäre, wenn in unserer konkreten Wirklichkeit, in unserem Wirtschaftsleben die Dinge so laufen würden. Ausserdem würden alle versuchen, erst eine Stunde vor Sonnenuntergang noch so einen Job für einen Denar zu bekommen. Minimaler Aufwand, maximaler Gewinn.

Wir legen, ohne es zu merken, die Logik unserer Welt über das, was Jesus sagt, und so verschwindet das Evangelium als die grosse Offenbarung von etwas, was keine Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was niemand sich ausdenken kann. (vgl. 1 Kor 2,9)

Jesus redet vom Himmelreich, das im Kommen ist, das angebrochen ist, obwohl man es nirgends sieht. Dieses anbrechende Himmelreich vergleicht er mit einem Weinberg.

Der Weinberg ist in der Heiligen Schrift ein stark aufgeladenes Symbol. Israel, das erwählte Volk Gottes wird als Weinberg bezeichnet, als Weinstock, der süsse Frucht bringen soll und dem der Besitzer alle Pflege und Mühe angedeihen lässt. Im Hohelied der Liebe treffen sich die Liebenden im Weinberg und bekannt ist das Lied vom Freund und seinem Weinberg. (Jesaja 5,1-7)

Weinberg, Weinstock, süsse Trauen, – all dies gehört zur Symbolik der Liebe, des berauschenden Festes, der Hochzeit. Die Schöpfung, in der wir leben, endet mit der Hochzeit von Himmel und Erde, also mit unserer Heimkehr zu Gott. Bei dieser Hochzeit werden wir den Hochzeitswein, die süsse Frucht des Weinbergs und des Weinstocks geniessen.

Das ist der grosse Horizont dieser Geschichte vom Besitzer des Weinbergs.

Nun geht dieser göttliche Weinbergbesitzer jeden Tag aus, zu allen Zeiten, überall, um Arbeiter für den Weinberg zu finden, für das Werden des Himmelreichs. Er sucht Menschen, die verfügbar sind.

Was er findet, sind jene, die keiner sonst will oder brauchen kann, die nutzlos herumstehen oder einfach immer zur falschen Zeit am falschen Ort sind und zu nichts kommen, was in der Welt zählt.

Und Gott sagt zu ihnen: Ich habe aber eine Aufgabe für euch. Ich brauche Leute in meinem Weinberg, für den Hochzeitswein, für die Hochzeitsfreude.

Wer es begreift und schon früh am Morgen angeworben wird, freut sich, dass er an so etwas Grossem mitwirken darf. Wer spät erst dazu findet, ebenso. Und alle bekommen einen Denar, also das, was man zum Leben braucht.

Die Arbeiter im Gleichnis aber reklamieren. Das sind jene, die nur die ungleich verteilte Arbeit und Mühe sehen und das dann aufrechnen wie gewohnt: So viele Stunden Arbeit, so viel Lohn. Mit dieser Logik haben wir unsere Gesellschaft organisiert, weil wir das gerecht finden. Und so darf es durchaus sein. Gott hat uns diesen Spielraum gegeben. Wir könnten die Regeln aber auch jederzeit ändern.

Für die Arbeit im Weinberg Gottes ist diese Logik der grosse Irrtum. Christus offenbart hier, dass es um etwas ganz anderes geht, das sich bündelt in dem Satz: Ist dein Auge böse, weil ich gut bin?

Zwei grosse Themen der Menschheit scheinen hier auf: Die alte Sünde des Neides, wie sie im Buch Genesis in Kain erkennbar ist und das Gutsein Gottes.

Durch Abel, der das Beste von allem opfert, das Fett, wird Kain entlarvt als einer, dem Gott nicht das Beste wert ist, denn er opfert einfach etwas von dem, was er hat. Gott ist nicht die Liebe seines Lebens, der Geber, dem er selber alles verdankt, sondern eine Randerscheinung, der man Tribut zahlen und in seine Kalkulationen miteinbeziehen muss. Auf diese Sicht reduziert sind auch die Arbeiter hier im himmlischen Weinberg. Sie nutzen gern die Gelegenheit, die Gott ihnen bietet, um ihren Denar zu bekommen. Aber sie wissen nichts vom Hochzeitswein, der hier bereitet wird, vom Geheimnis dieser Welt.

Und das ist das andere grosse Thema: Gott, der sich offenbart als der, der «gut» ist, mit einer ganz anderen Logik und Gerechtigkeit; der einbrechen will in unsere berechnende Welt, um den Himmel aufzubauen und unserem Leben seine Qualität des Guten zu geben.

Warum klagst du über deinen Anteil an der Last der Welt, die zu tragen ich dich gerufen habe und fragst: Warum ich? Warum so? Warum nicht?

Warum freust du dich nicht, dass ich bis zur letzten Minute alle zusammensuche und jedem gebe, was ich geben will: Das Gute. Dass ich allen gebe, was sie zum Leben brauchen?

Glaubst du, ich bin wie du?

 

Von einem besonderen Weinbergbesitzer

In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:
1 Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen hinausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. 2 Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. 3 Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus und sah andere auf dem Markt stehen, die keine Arbeit hatten. 4 Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. 5 Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder hinaus und machte es ebenso. 6 Als er um die elfte Stunde noch einmal hinausging, traf er wieder einige, die dort standen. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig? 7 Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!

8 Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten, bis hin zu den Ersten! 9 Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denár. 10 Als dann die Ersten kamen, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten einen Denár. 11 Als sie ihn erhielten, murrten sie über den Gutsherrn 12 und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt. Wir aber haben die Last des Tages und die Hitze ertragen. 13 Da erwiderte er einem von ihnen:
Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? 14 Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. 15 Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin? 16 So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.
(Matthäus 20,1-16a)

 

SEQUENTIA-Abendgebet, Predigerkirche Zürich, 24. September 2023

Bild: AdobeStock, 5ph

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