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Lehmziegel made in Babel

«Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit
einen Namen.» (Gen 11,19)


Was ist daran so schlimm?


Stadt und Turm sind archaische Bilder für die Welt als Lebensraum und die Verbindung mit dem Himmel. Der
Himmel ist in allen alten Religionen der Ort des Numinosen, des Heiligen.

Die Menschen sind soeben aus dem Rahmen gefallen, den Gott für sie gesetzt hat, sie mussten aufbrechen
von Osten, den Garten verlassen, wo sie ihre höchsten geschöpflichen Möglichkeiten hätten verwirklichen
können und nun waren sie im Niemandsland und kamen auf diese Idee.

Sie selber waren aus Lehm geformt, doch mit dem göttlichen Odem durchwohnt, wie sonst keines der
Geschöpfe. Und deshalb sollten sie gottfähig, voller Weisheit und Lebensmacht selber dieser Turm sein, in
dem sich die Verbindung von Himmel und Erde vollzog. Aus dieser Verbundenheit mit Gott sollten sie die noch
ungestaltete Erde zum Garten machen, zur Heiligen Stadt, mit Gott als ihrer Mitte.

Obwohl sie durch den Bruch mit Gott alles verloren haben, lebt etwas in ihnen, was unzerstörbar ist:

Ein Wissen, dass Himmel und Erde zusammengehören. Eine Sehnsucht, diesen Zugang zum Himmel und die
damit verbundene Vollmacht über die ganze Erde wieder haben zu wollen. Das Bedürfnis, einen Namen zu
haben, also einmalig und bedeutsam zu sein.

Der Mensch versucht, wieder zu dem zu kommen, was er verloren hat, aber an Gott vorbei, ohne ihn: die
Verbindung zum Himmel mit einem Turm aus gebrannten Lehmziegeln, aus verbrannter, unlebendiger Erde.

Heute brennen wir nicht mehr Ziegel, sondern kreieren die Bausteine des menschlichen Erbgutes, die DNA,
nach eigenen Vorstellungen: Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild.

Es soll inzwischen schon mehrere Kinder geben, die eine Mischung mit dem Erbgut von drei Erwachsenen
sind. Männer können ihren Samen an Samenbanken verkaufen und befruchtete Eizellen können in eine
künstliche MaschinenGebärmutter gelegt werden. Nach neun Monaten kann ein fertiges Wesen herausgeholt
werden. Alles perfekt maschinell orchestriert.

Trotz Sprachverwirrung sind wir als Menschheit scheinbar bis zum Rand des Himmels geklettert.

Doch dieser Himmel ist nicht der Himmel Gottes. Er ist eine Projektion dieses unerlösten Machtwillens und
macht unser Leben zunehmend zur Hölle.

Was macht Gott mit damit?

In Psalm zwei (2,4) heisst es: «Er, der im Himmel thront, lacht. Der Herr aber verspottet sie!»

Dieser Spott Gottes gilt dem Stolz des Menschen. Gleichzeitig ist Gott voll Schmerz und Erbarmen über unsere
tödliche Verblendung.

Deshalb hat er alles getan, um uns den wahren Himmel als heiligen Lebensraum, unsere wahre Grösse als
gottfähige Menschen, unseren wahren, einmaligen Namen wieder zu erschliessen.

Er hat die Brücke zwischen Himmel und Erde neu gebaut und stabilisiert.

Es begann von oben nach unten: Er selber hat den Himmel verlassen, sich entäussert, wie Paulus sagt (vgl.
Phil 2,7), ist in unser verworrenes Dasein, nach Babel gekommen und hat uns eine neue Sprache gegeben,
seine Sprache, sein Wort, Christus.

Dann hat er in Christus von unten nach oben die Verbindung gesichert: Es gibt keine Unsicherheit mehr über
den Weg. Christus hat ihn bis in den Tod hinein, bis in alle Abgründe hinein, durch alles Böse hindurch, ganz
klar markiert. Auf diesem Weg geht es mit Sicherheit zurück zum verlorenen Himmel.

Wenn wir uns taufen lassen, sagen wir wieder Ja zu Gott, wir kehren um zu ihm. Wir sind dann neue
Menschen, mit einer neuen Ausstattung, mit einem neuen Namen. Dieser Name wird uns von Gott gegeben
und ist Ausdruck unserer tiefsten Identität, die nur aus ihm und in ihm entsteht. Es gibt eine Stelle im Buch der
Offenbarung, wo das anklingt: Wer seine Gottesferne überwindet, erhält einen weissen Stein, auf dem ein
neuer Name steht, den niemand kennt, als nur der, der ihn empfängt. (Offb 2,17)

Wir brauchen also keine Lehmziegel brennen, keine DNA umbauen, keinen perfekten Menschen schaffen, nur
heimfinden in das wahre Lebendigsein, das durch Beziehung entsteht, durch die Beziehung mit Gott, um
wieder lebendige Leuchttürme des Geistes zu sein.

 

Genesis 11,1-9

Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte.
Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an.

Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen
gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.

Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen
wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.

Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten.

Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns.
Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen.

Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen
versteht.

Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen.

Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von
dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.

 

SEQUENTIA – Abendgebet vom 28. Mai 2023 in der Predigerkirche, Zürich

Bild: AdobeStock, Jacqueline Weber

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
  1. Liebe Pia

    Ich bin so gerührt von deiner Auslegung, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Gut, dass es Theologinnen gibt, mit deiner Weisheit!

  2. Einfach grandios und ergreifend wahr in die Gegenwart gesetzt.. Aktualisiert gefragt: Mensch, woran baust du, mit welchem Baustoff, in welcher Absicht?
    Einzig wahrer Gott, sende uns allen Erkenntnis im Geist von Pfingsten!
    Diakon Alois S.

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