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Kopfsteuer

Wir wissen, wie bei der frühen römischen Christenverfolgung die Christen gezwungen waren, den Göttern zu opfern und damit auch dem römischen Kaiser, der sich für Gott hielt. Wenn sie sich weigerten, wurden sie getötet.

Ein Studienkollege sagte nach einer Vorlesung zu diesem Thema: Die hätten doch einfach so tun können als ob. Sie hätten das Opfer darbringen und das Opferfleisch essen können, ohne diesen alten Götterglauben zu teilen. Dann wären sie am Leben geblieben. Das hätte doch dem Christentum mehr gebracht!

In diesen Zusammenhang gehört die Fangfrage der Pharisäer. (Mt 22,15-21) Es gab im römischen Reich die Vermögenssteuer, die auch die Juden selbstverständlich bezahlten. Aber es gab auch noch eine Kopfsteuer für das Vieh, die Schafe und Esel, die sollte auch für die Menschen entrichtet werden, denn sie galten als Eigentum des Kaisers. Nach jüdischem Verständnis war das Bezahlen dieser Kopfsteuer Gotteslästerung, denn als Juden waren sie nicht Eigentum des Kaisers, sondern gehörten Gott. Im Judentum war der König der «Knecht Gottes» und damit auch der Knecht Israels, und Israel war das geliebte Weib Jahwes. Dem König gehörte also gar nichts.

Geht die Antwort Jesu nicht in die gleiche Richtung, wie mein Studienkollege vorschlug: «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist» (Mt 22,15-21), also einfach zahlen, aber Gott das Herz geben?

Diese Stelle wurde im Lauf der Zeit in Zusammenhang gebracht mit einem Wort von Paulus, dass man der weltlichen Obrigkeit Gehorsam leisten soll, denn die sei von Gott gegeben. (vgl. Röm 13,1f.)

Bis zum zweiten Weltkrieg, als Millionen von getauften Christen gehorsam Millionen von Brüdern und Schwestern umgebracht haben, weil die Obrigkeit dies befohlen hat. Dieser Krieg hat für die Christen und für die Theologie das bisherige Verständnis von Gehorsam aus den Fugen gekippt.

Die Antwort Jesu ist doppeldeutig und lässt auch etwas offen, was wir vielleicht erst heute verstehen können:

Zu seiner Zeit kannten die Juden die Geschichte von der Makkabäer-Mutter, die ihre Söhne ermutigt hat, am Jahwe-Glauben festzuhalten und das Martyrium zu erdulden. Für diese Mutter wäre es unerträglich gewesen, wenn ihre sieben Söhne vom Glauben an Jahwe abgefallen wären.

In der Zeit nach Christus haben Männer und Frauen die Gesellschaft verlassen und sind in die Wüste gezogen, um nicht Kriegsdienst leisten zu müssen, um nicht heiraten zu müssen, um nicht dem Opferkult des römischen Reiches verpflichtet zu sein. Sie sind dem Ruf Jesu gefolgt: Gebt Gott, was Gottes ist! Und das war für sie ihre ganze Existenz. Später wurden die Klöster zum Teil bis heute der Alternativ-Raum zur «Welt». Der Eintritt in den Orden wurde als eine Form von Tod verstanden und entsprechend gestaltet. Alle familiären und gesellschaftlichen Bindungen und Verpflichtungen wurden abgeschnitten.

Nun ist es so, dass Gott an uns Menschen keine Forderung stellt im Sinn eines Ultimatums. Es gibt keine Pflicht zum Martyrium, keine Pflicht, Gesellschaft und Familie zu verlassen oder zölibatär zu leben, also eine prophetische Lebensform zu wählen. Es gibt nicht einmal die Pflicht, Gott zu glauben und das zu empfangen, was er geben möchte.

Aber Gott macht alles, um unser Herz zu erreichen, damit es unruhig wird und anfängt, nach ihm zu verlangen. Wenn das geschieht, beginnt ein Prozess des Werdens am Du Gottes, der bis zur vollen Liebesfähigkeit führen soll. Dieser Prozess bedeutet, immer mehr eins zu werden mit Gott, d.h. immer mehr alles so zu sehen wie Er es sieht und mit seiner Sicht der Dinge übereinzustimmen. Je mehr das geschieht, umso weniger können wir falsch singen in der Harmonie des Kosmos, wir können diejenigen nicht mehr beklatschen, die das Wort und die Wirklichkeit und den Klang pervertieren.

Dann wird möglich, was im zweiten Weltkrieg auch geschehen ist: Unzählige Christen haben sich der behördlichen Obrigkeit widersetzt, den Gehorsam verweigert, wurden in Konzentrationslager gebracht und vernichtet. Bonhoeffer ist einer der vielen Zeugen dieser Kraft Gottes, der dem «Kaiser» gegeben hat, was ihm gehört, nämlich Widerstand, und der Gott gegeben hat, was Gott gehört, nämlich sein Leben. Genauso die Geschwister Scholl und ihre Freunde: Wie kommt es, dass so junge Menschen plötzlich begreifen, was abgeht und sich verpflichtet fühlen, gegen die übermächtige Maschinerie der Ideologie und des Krieges anzutreten, im Wissen darum, dass sie ihren Kopf riskieren? Woher hatten sie diese prophetische Kraft?

Die Antwort Jesu auf die Fangfrage der Juden verweist auf jenen Freiheitsraum, in den der göttliche Geist uns führen will, hinaus aus den Kategorien der weltlichen Logik. Sie muss im Zusammenhang mit einem andern Satz verstanden werden: Wer es fassen kann, der fasse es. (Mt 19,12)

Die Antwort Jesu ist in einem gewissen Sinn auch doppeldeutig: Auch wenn der Kaiser das Metall der Schöpfung nutzt und sein Konterfei einprägen lässt, so gehört das Metall ja nicht ihm. Denn die ganze Schöpfung gehört Gott. Sogar der Kaiser mit seinem Leben. Doch das haben die Fragesteller nicht gemerkt.

Solange es Obrigkeiten gibt, die glauben, dass ihnen etwas gehört, und sei es auch nur das Metall einer Münze oder gedrucktes Papier, die es sich erlauben, Menschen in den Krieg und in den Tod zu schicken, sie zu missbrauchen für ihre Machtausübung, sind Menschen gerufen, ihnen mit prophetischer Kraft entgegenzutreten, damit Gott gehören kann, was Gottes ist: Nämlich alles, die ganze Schöpfung mit all ihren Möglichkeiten. Sie ist uns anvertraut, damit wir mit ihren Mitteln die Liebe Gottes verwirklichen.

 

Text

In jener Zeit kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du die Wahrheit sagst und wahrhaftig den Weg Gottes lehrst und auf niemanden Rücksicht nimmst, denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Was meinst du? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht?

Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum versucht ihr mich? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denár hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten ihm: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! (Matthäus 22,15-21)

 

Zur Kopfsteuer siehe George M. Lamsa, Die Evangelien in aramäischer Sicht, Lugano 19639, S. 178f.

SEQUENTIA-Abendgebet, Predigerkirche Zürich, 22. Oktober 2023

Bild: AdobeStock, Buho

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