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Der Leib

Die meisten von Ihnen kennen wohl das Bild, dass Christus und die Kirche ein Leib sind. Christus ist das Haupt und die Menschen sind die Glieder. So richtig warm wird man mit diesem Bild nicht. Versucht man, das Unbehagen zu fassen, so scheint es daran zu liegen, dass mit diesem Verständnis etwas Grundlegendes verwischt wird. Zwischen Christus und der Kirche ist Beziehung – personale Beziehung. Und davon ist im Verhältnis von Kopf und Leib nicht die Rede.

Wenn Paulus sagt: Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? so hat er einen ganz bestimmten Zusammenhang im Blick, der sofort im nächsten Satz erkennbar ist: Wer sich an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm. (V17) Das ist ein klarer Bezug auf die Stelle im Buch Genesis: «Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden zu einem Fleisch.» (vgl. Gen 2,24)

Wenn in unserem Text vom Herrn und vom Leib die Rede ist, geht es also um das liebende Einssein von Zweien: Von Gott und seinem Weib, der Menschheit.

Gott verlässt seinen Himmel und hängt sich an sein Weib: das sind alle Menschen vom Anfang bis zum Ende der Zeiten in all ihren Ausgestaltungen. Mit jedem Menschen will Gott sich eins machen. Er schafft die Vielheit aus seiner Einheit, und will die ganze Vielheit der Schöpfung zur Einheit führen. Vielheit in Einheit, das ist die volle Offenbarung Gottes.

Die Aussage von Haupt und Leib findet sich auch im Kolosserbrief. Wir singen das jeweils im Canticum zum Thema Schöpfung: Christus ist das Haupt der Kirche, die sein Leib ist. Damit ist gemeint: Die Kirche, die Ekklesia, gehört ihm als seine geliebte Braut. Sie wird durch den Heiligen Geist zu seinem freien, eigenständigen Gegenüber aufgebaut, und für alle, die diese Entwicklung schon gemacht haben, ist es Glückseligkeit, Christus zu gehören. Ist es nicht das Glück der Liebenden, sich zu gehören, ganz und gar, mit Haut und Haaren?

Als Gott mit Abraham und später mit dem Volk Israel einen Bund geschlossen hat, war das kein Geschäftsvertrag, sondern ein Liebesbund. Die Treue Israels zu diesem Gott sollte sich zeigen in der Treue zu den Lebensordnungen, die es von Gott erhalten hat. Aber es funktionierte nicht, weil das Herz davon nicht berührt wurde.

Als Christus kam, um einen neuen Bund mit Israel zu schliessen, vollzog er diesen Bund in seinem eigenen Leib. Er gab sein Fleisch und Blut, seinen Leib, sein Leben für das vertrocknete Herz der liebelosen Braut. Mit dieser Blutauffrischung seines Volkes sollte endlich möglich werden, was Gott ersehnte. Das menschliche Herz soll nicht mehr steinhart sein, sondern lebendig. Vom Blut des Gott-Menschen erfüllt. Und das soll bis zum Ende der Weltgeschichte die ständige Quelle des Lebens für die «Ekklesia» sein.

Ist es nicht erstaunlich, dass Christus, der Macht hat über alles, der allein durch sein Wort die Welten bewegt und alles gehorcht ihm, sich auf diese Weise an den Leib bindet, an Fleisch und Blut. Wir könnten doch wie der Hauptmann in Kapharnaum sagen: Sprich nur ein Wort, so werde ich gesund, oder so werde ich lebendig. Und Christus könnte sagen: Mensch, dein Glaube ist gross, sei wieder heil. In die gleiche Richtung, weg von Fleisch und Blut, könnte doch auch der Satz von Paulus verstanden werden: «Wer sich an den Herrn bindet, wird ein Geist mit ihm!», sagt Paulus.

Doch da gibt es auch die grosse Prophetie Ezechiels (Ez 37), wo die Totengebeine durch den Geist wieder mit Fleisch und Blut überzogen werden. Der Sinn und das Heil der Menschheit scheint nicht die Überwindung von Fleisch und Blut, sondern wo der Geist Gottes ist, ist Fleisch und Blut. Denken wir auch an Träume oder Nahtoderfahrungen. Dort ereignen sich Geschichten mit Menschen aus Fleisch und Blut, aber alles befindet sich irgendwie in einer andern Dimension. Es gibt offensichtlich eine geistige Dimension von Fleisch und Blut und es ist durchaus möglich, dass die Wissenschaft uns noch ein paar Türen zu diesem Geheimnis öffnen wird.

Auf dem Hintergrund all dieser Zusammenhänge wird klar, warum Paulus das Thema der Unzucht bringt. Im Griechischen heisst es porneia und die Pornografie ist heute der grösste Wirtschaftszweig der Welt. Paulus warnt die Korinther davor, zur Dirne zu werden, die neu geschenkte Intimität mit Gott zu verraten und die erhaltenen Gaben und Freiheiten zu nutzen für die Prostitution, also sie zu missbrauchen für die Interessen des unerlösten Ego, das nicht verbunden ist mit dem grossen Ganzen.

Die porneia beginnt mit feinen subtilen Lügen, mit fehlender Aufrichtigkeit vor Gott. Und sie führt wie eine schiefe Ebene ins Tun und alles Tun ist für immer in unserem Leib-Gedächtnis eingeschrieben. Deshalb ist Paulus so besorgt um diesen Leib, um die Ekklesia.

Mir scheint, wir Christen sind der Welt bis heute etwas schuldig geblieben, nämlich das Zeugnis vom Sinn des Leibes als Ort des Wohnens Gottes, als Ort der tiefsten Intimität mit Gott. Zwischen Gott und jedem einzelnen Menschen gibt es keinen Meter Abstand. Es braucht nur die Hinwendung der Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Gott, der uns verlebendigt in jeder Zelle unseres Leibes. Der in uns atmet und strömt und sagt: Ich bin da.

Wie anders würde die Welt aussehen, wenn wir uns darum kümmern würden, diesen Sinn unseres Leibes zu entdecken.

 

1 Kor 13-20

Der Leib ist nicht für die Unzucht, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib; einerseits hat Gott den Herrn auferweckt, andererseits wird er uns auferwecken durch seine Kraft.

Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind?

Da ich die Glieder Christi genommen habe, soll ich sie nun zu Gliedern einer Hure machen? Das möge nicht geschehen! Oder wisst ihr, dass der, der sich an die Hure hängt, mit ihr ein Leib ist?

Denn es heisst, die zwei werden zu einem Fleisch. Aber wer sich an den Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm. Flieht die Unzucht! Jede andere Sünde, die ein Mensch tut, ist ausserhalb des Leibes, aber wer Unzucht treibt, sündigt gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und ihr euch nicht selbst gehört? Denn ihr seid gekauft worden um einen Preis; preist also Gott mit eurem Leib!

 

Abendgebet-Sequentia, Predigerkirche, Zürich, 14. Januar 2024, 18:00

Bild: Adobe Stockgiu

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