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Das Böse

Wir sind in der dunklen Jahreszeit und als es noch kein elektrisches Licht gab, erhielt das Innenleben des Menschen in dieser Zeit einen Raum im Jahresrhythmus für das innere Schauen. Aus diesen Quellen sind die Vorstellungen der unsichtbaren Welt entstanden, Einsichten in die tieferen Schichten des Menschen, ein Verständnis des Heiligen und des Bösen. Die Menschen haben nach einer Sprache gesucht für das Erahnte und Geschaute und haben es in Bildern und Geschichten, in Musik und Ritualen zum Ausdruck gebracht.

Nun leben wir in einer überhellen Welt rund um die Uhr. Es bleibt kein „Geheimnisdunkel“ mehr, das uns inspiriert mit seiner Bildkraft. Die Vorstellung der rationalen Wissenschaft war es, alle Phänomene des Lebens erklären und optimieren zu können, nichts würde mehr «Geheimnis» bleiben und deshalb braucht es keine Geschichten, Bilder und Rituale mehr für die Feier des Lebens. Im Licht der Ratio würde auch das, was primitives Denken dem Bösen zuschreibt, wie von selbst verschwinden, weil es erklärbar wird.

In der Pädagogik etwa hat diese Art der wissenschaftlichen Erhellung durchaus Segen gebracht, denn niemand wird mehr von einem Kind im Trotzalter sagen, es sei vom Bösen besetzt.

Auch durch die Psychologie können wir heute verstehen, wie durch schlimme negative Erfahrungen vor allem in der frühen Kindheit Grundhaltungen entstehen, die entweder selbstzerstörerisch sind oder als kriminelle Energie nach aussen wirken. Ursache ist ein ungeheures geistig-seelisches Leiden im Unbewussten, an der Wurzel der Person und das Verhalten eines solchen Menschen sagt an sich noch nichts darüber aus, ob ein Mensch «böse» ist, auch wenn es sehr unschön oder verletzend oder tatsächlich böse daherkommt.

Trotz all dieser «Erhellungen» sind wir aktuell mit Grausamkeit, Gewalttätigkeit und Hass konfrontiert in einem Ausmass, das fassungslos macht. Selbst Menschen, die nicht im Christlichen beheimatet sind, finden keine andere Bezeichnung mehr dafür: Es ist böse. Das Konzept der Wissenschaft, mit der Ratio und entsprechender Optimierung durch Technik das Böse aus der Welt zu schaffen, erweist sich als Wahn.

Wie können wir als Christen dieses Böse verstehen, was ist es?

Ein junger Mann erzählt in einem Video, wie er aus friedlicher Kindheit an der Schule aus ihm unerfindlichen Gründen im Alter von zwölf Jahren plötzlich gemobbt und ganz schlimm gedemütigt wurde. Nach einer langen Zeit der Verzweiflung kam er dann mit andern Jugendlichen in Kontakt, die ihm nahelegten, sich zu wehren. Damit begann sein Weg der Gewalttätigkeit. Er erzählt, wie sich in ihm der Hass entwickelte, wie er in Kontakt kam mit satanischen Ritualen, diese praktizierte und dann wissentlich und willentlich zum Satanisten geworden ist, also zu einem Menschen, der nur noch hassen und zerstören will.

Er erzählt, was sich in ihm verändert hat, wie er dieses Böse erlebt hat, das ihn zunehmend beherrschte wie etwas, was nicht mehr er selber war. Aber er war ganz damit einverstanden, in diesem Hass und mit dieser Bosheit zu leben. Das Ganze gipfelte darin, dass er seinen Eltern drohte, sie umzubringen. Es gab dann eine grosse Gebetsaktion von Eltern, Freunden und ehemaligen Satanisten, er hat eine innere Begegnung mit Christus, wird völlig frei von allem Hass und findet zu einem tiefen Frieden.

In einem Bericht über Massenmörder hat einer der Männer gesagt, dass er das Verlangen zu Töten wie eine Macht erfährt, die ihn packt. Aber er will es nicht. Er hat Prägungen und Belastungen, die übermächtig sind, aber in ihm gibt es offensichtlich einen Freiheitsraum, der es ihm gestattet, mit sich selbst nicht einverstanden zu sein. Ein solcher Mensch handelt zwar ganz eindeutig böse, aber damit ist die Frage der Schuld noch offen, einerseits vor dem Recht, andererseits vor Gott. Nur Gott kennt das Zusammenspiel von Belastung durch Prägung und dem Mass der innerer Freiheit, und damit auch das Mass der Schuld.

Der Psychiater Viktor Frankl wurde in den Staaten in ein Gefängnis eingeladen zu einem Vortrag. Er hat die Gefangenen ermutigt, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. Das bedeutet, ihre Schuld anzuerkennen und dafür gerade zu stehen. Nachher kamen Gefangene zu ihm und dankten ihm, dass er ihnen ihre Würde wieder geschenkt habe. Er hat sie als Menschen in ihrer geistig-personalen Dimension ernst genommen, zu der die Freiheit und Verantwortung gehört, und das bleibt ihre Würde, auch wenn sie versagt haben. Wenn die Rechtsprechung sie als schuldunfähig bezeichnet, spricht man ihnen diese Würde ab. Sie werden zu reinem «Psychophysicum» (Frankl) wie die Tiere, ohne geistig-personale Einmaligkeit.

Eine schwierige Dimension des Bösen findet sich bei Menschen, die ganz bewusst und willentlich das Böse tun. Solche Menschen wirken nicht wie Monster und das ist unser Problem. Sie können freundlich, gebildet, wirtschaftlich oder politisch erfolgreich sein, geschliffen, attraktiv, weltgewandt, umgänglich, immer das, was ihnen nützt. Oder sie halten sich ganz bedeckt, man kennt sie gar nicht. Ihr Inneres wird beherrscht von Lüge, auch Lebenslüge, Spott, Zynismus, Gier, Verachtung der anderen Menschen. Es ist ihre Lust, das Gute und die Schönheit des Heiligen lächerlich zu machen und zu zerstören. Das Unschuldige ertragen sie nicht. Ihr Antrieb ist der Hass als Perversion der Liebe, mit dem sie auch systematisch und mit Plan quälen, zerstören, missbrauchen. Das kann sehr subtil daherkommen, schein-schön, schein-gut, schein-wahr. Auch im religiösen Milieu, dort ist es schein-heilig. Um ihre Machtgier auszuüben, sind sie auf Menschen angewiesen, die ihre geistig-personale Dimension nicht wirklich entwickelt haben. Mit der Maschinerie der Propaganda und Ideologie rund um die Uhr in allen Medien wird die Wirklichkeit  verdreht präsentiert, die Sprache umgedeutet, werden uns ständig neue technische Erleichterungen aufgezwungen, die uns in Atem halten, es wird auf der Klaviatur unserer Gefühle gespielt, um uns dahin zu treiben, wo wir ihnen am meisten nützen. Wie Nutzvieh. All das verhindert, dass wir das lebenspendende «Geheimnisdunkel» erfahren, wo wir zu unserer ur-eigenen Sicht der Dinge finden können. Diese Art des Bösen in dem aktuellen Ausmass und der Konstellation der Mittel ist neu, der Satanismus ist viel weiter verbreitet als wir gutmeinende Christen glauben. Deshalb sind wir wirklich in Gefahr, wenn wir das nicht durchschauen, wir sind in Gefahr, unsere Würde zu verlieren, die geistig-personale Dimension.

Zu dieser Art des Bösen gehört die andere Seite, wie sie die Philosophin Hanna Arendt erkannt hat. Sie hat den Begriff geprägt von der «Banalität des Bösen.» Es gibt dazu ein spannendes Video von einem Historiker, gut verständlich, das ich allen empfehle. Der Link dazu ist unten zu finden.

Wenn wir die Heilige Schrift befragen zum Thema des Bösen, sehen wir, dass das Böse ein Menschheitsproblem ist und es ist Christus, der dieses Problem für uns definitiv löst. Nach seiner Taufe geht er in die Wüste und nimmt dort den Kampf gegen Satan auf. Dieser Kampf endet erst, als er am Kreuz stirbt. Sein Akt der Hingabe bis in den Tod, den Christus vollzog, hat Satan die Macht endgültig genommen. Denn mit einem Gott, der sich aus Liebe zur Menschheit umbringen lässt, hat er nicht gerechnet, das war jenseits seiner Vorstellung. Das war ja sein Grundproblem: Er hat sich selbst etwas vorgelogen und in Projektionen über Gott gelebt und Christus hat diese Projektionen nun zerstört.

Wenn Satan angesichts dieser Liebe seinen Hass auf Gott hätte aufgeben können, wäre auch für ihn ein neues Leben möglich geworden. Aber er hat sich definitiv für den unbegreiflichen Hass auf Gott entschieden und will nun mit seinem Wüten um jeden Preis und mit allen Mitteln alles zerstören: das Werk Gottes, die Schöpfung und den Menschen als sein Bild.

Es gibt eine kleine Schrift über diese Zusammenhänge, wie Hildegard von Bingen sie geschaut hat. Sie sind sehr «erhellend» und führen zu einer ganzheitlicheren Sicht von Gott, Welt und Mensch.

Erst auf dem Hintergrund dieser geistigen Dimension der Schöpfung, mit dem Wissen um die Bedeutung der Engel überhaupt, ihrer Kraft und Intelligenz und ihrer Aufgabe im Kosmos, können wir ermessen, warum das Böse in unserer Welt eine solche Macht hat und wie es auf uns wirkt. Es ist Christus, der uns zum Tor wird, zum Massstab der Wahrheit, zum Leben, das kein Tod uns nehmen kann, der uns einen Weg führt, auf dem das Böse die Wirkmacht verliert.

 

Text

«Und es wurde Krieg im Himmel: Michael und seine Engel, um Krieg zu führen mit dem Drachen. Und der Drache führte Krieg und seine Engel. Und er hatte keine Kraft und kein Ort von ihnen wurde mehr gefunden im Himmel. Und geworfen wurde der Drache, der grosse, die Schlange, die alte, der sogenannte Zerwerfer und der Satan, der in die Irre führt die ganze bewohnte Welt; geworfen wurde er auf die Erde und seine Engel wurden mit ihm geworfen.» (Offb 12,7-9)

Frankfurter Neues Testament I, Die Apokalypse des Johannes. Neu übersetzt, Stefan Alkier und Thomas Paulsen, 2020

Video

Dr. Walther Ziegler, Hannah Arendt – Die Banalität des Bösen

Literatur:

C.S. Lewis, Dienstanweisung für einen Unterteufel, Herder, 2022

Ceacilia Bonn, Der Mensch in der Entscheidung. Gedanken zur ganzheitlichen Schau Hildegards von Bingen, Teil I: Der Mensch hält

das Weltnetz in der Hand, Teil II: Gott und Mensch im Kampf mit dem Bösen, Abtei St. Hildegard, 1994, 23 Seiten

 

SEQUENTIA-Abendgebet, Predigerkirche Zürich, 12. November 2023

Bildnachweis: AdobeStock AustrianImages.com

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