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Das sterbliche Fleisch

Das «Fleisch», von dem Paulus hier spricht, hat für Hebräer und Griechen nicht genau die gleiche Bedeutung, denn sie hängt ab vom Menschenbild, zu dem es gehört.

Für uns heute ist zuerst einmal wichtig: «Fleisch» meint hier bei Paulus nicht das, was am Ende unserer Tage ins Grab sinkt, und übrig bleibt ein gestaltloses «Ich», das irgendwo verschwindet im All. «Fleisch» ist unser ganzes Menschsein, unsere ganze Existenz mit Leib, Seele und Geist. Das sind nicht drei «Teile» von uns, sondern drei verschiedene Dimensionen, die untrennbar sind. (vgl. Viktor Frankl)

Gott, der Schöpfer wird «auch euren sterblichen Leib lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.» Das ist das Neue, das Paulus verkündet: Unsere ganze Existenz soll durch den göttlichen Geist zur wahren Lebendigkeit kommen und so Anteil erhalten an Gott, dem Lebendigen.

In unserer abendländischen Geschichte kam das biblische und ganzheitliche Bild vom Menschen in eine Schieflage und damit wurde auch das Gottesbild verfälscht.

Unser Leib mit seinen Kräften und dem seelischen Empfinden und Erleben wurden zum sündigen, sterblichen «Fleisch», die Lebens- und Vitalkräfte zum «bösen Trieb», den man zu überwinden und zu beherrschen, abzutöten hatte.

Den Sieg in diesem Kampf versprach man sich vom «Geist». Gemeint war aber damit der Intellekt, die Ratio, das abstrakte Denken, die Intelligenz, denn dieses Denken funktionierte unabhängig von den als „niedrig“ empfundenen leiblichen und seelischen Kräften. «Ich denke, also bin ich» ist der berühmte Schlüsselsatz des Philosophen Descartes. Dieses Denken hatte seinen Sitz im Gehirn, und so wurde der abstrakt denkende Mensch als das wahre Bild Gottes gesehen. Dazu stellte man sich Gott als den «unbewegten Beweger» vor, der nach der Erschaffung der Welt fern von den Nöten und Leiden der gefallenen Menschheit erhaben auf die Welt schaut, von wo auch immer.

Zunehmend wurde unsere Welt mit diesem «Geist» überzogen und unter das Raster von Physik, Mathematik und wissenschaftlichen Begrifflichkeiten gelegt. Nur was da zu erkennen war, wurde als Wirklichkeit anerkannt. Man glaubte tatsächlich, damit die Gesamtheit des Lebens verstanden zu haben und beherrschen zu können.

Als Sigmund Freud mit der Entdeckung des Unbewussten aufwartete und nachwies, dass das menschliche Verhalten in einem vorwiegenden Mass vom Unbewussten her bestimmt ist, wurde das materialistische Welt- und Menschenbild erschüttert. Diese Erschütterung geht nun noch einmal tiefer durch die Quantenphysik.

Wir können nur verstehen, wie fatal sich diese Dominanz des Rationalen durch Technologie, künstliche Intelligenz und wissenschaftliche Begrifflichkeit auf unsere Humanität auswirkt, was auf dem Spiel steht, wenn wir eine Vorstellung haben vom ganzheitlich-biblischen Bild vom Menschen.

Christus hat uns eine Dimension des Lebens aufgetan, die umfassender ist als alle Physik und Psychologie. Künstliche Intelligenz kann sie nicht «ergreifen», wie es im Johannesprolog heisst.

So wird uns gesagt: Euer Leib ist der Tempel Gottes (vgl. 1 Kor 6,19), der Ort seines Wohnens (vgl. Joh 14,23).

Wenn wir bei uns selber, in unserem Innern, zuhause sind, können wir Gott vorfinden. Er ist immer «da» (vgl. Exodus 3,14). «Da» ist nicht in unserem Kopf, sondern da, wo ich «Ich» bin. Biblisch gesprochen wird das Herz als Erfahrungsraum dieses «Da» erlebt.

Wenn wir Gott wahrnehmen, zur Kenntnis nehmen, sein Wort vernehmen und ihm unser eigenes Wort sagen, also in Kommunikation kommen mit ihm, bleibt das nicht folgenlos. Denn von ihm her strömt schöpferische Kraft in unsere ganz individuelle Lebensdynamik hinein. Der göttliche Geist wärmt die Urflut unseres Unbewussten wie «im Anfang», und zusammen mit dem göttlichen Wort baut sich unsere Ewigkeitsgestalt auf. Wie der Schmetterling in der Raupe.

In der neuen Schöpfung wird unser Leib so sein, wie Gott ihn gedacht hat: Vollkommener Ausdruck unseres Wesens, das von Gott erfüllt ist, von seiner Schönheit, Güte und Wahrheit. Jeder Mensch ganz «Ich», einmalige Schöpfung, ein Aspekt der göttlichen Fülle.

Die entscheidende Frage für uns ist: Werde ich als Einheit von Leib-Seele und Geist inspiriert vom lebendigen Gott, der in mir wohnt? Gebe ich diesem schöpferischen Gott in mir Raum? Schöpfe ich von dem lebendigen Wasser, das aus meinem Innern, aus dem Geheimnisort Gottes, quellen soll?

Wenn nicht, was dann?

Dann sind wir das, was Paulus «das Fleisch» nennt. Existenz ohne Anteil an Gott, dem Lebendigen.

 

SEQUENTIA – Abendgebet vom 26. März 2023 in der Predigerkirche, Zürich

Bild: AdobeStock Li Din

 

Schrifttext

Brief an die Römer 8,8-11

Wer vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt.

Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm.

Wenn Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit.

Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

 

SEQUENTIA – Abendgebet vom 26. März 2023 in der Predigerkirche, Zürich

Bild: Adobestock Li Ding

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. Liebe Pia Maria,

    Sätze voller Geist und Wahrheit. Alles sehr gut erklärt und dargelegt!
    Ich lese jeden Beitrag wiederholend, mit Interesse und zu Herzen gehend, so mit viel geistigem Gewinn.
    Wort Gottes in begreifbarer Form. Danke!

    Alois

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