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Glauben ist keine Notlösung

Der Schlüssel zu einem unbekannten Schloss (Heb 11,1-2.8-12)

Heute wird uns durch den Hebräerbrief ein Schlüssel unseres christlichen Glaubens vor Augen gestellt, zu dem wir, so scheint es, das Schloss nicht mehr finden. Die Rede ist vom dem, was wir „Glauben“ nennen. Wir glauben alle – irgend etwas – aber uns ist nicht mehr klar, wozu uns diese Fähigkeit gegeben ist.

Für viele Menschen in unserer Zeit heisst „glauben“ etwas für möglich oder wahrscheinlich halten, von dem man nichts Genaueres wissen kann. Wenn man dann mehr weiss, braucht man nicht mehr zu glauben. Glauben ist in diesem Sinn ein defizitäres Wissen.

Wir sind auch gewohnt, zu sagen: Glaubst Du oder glaubst Du nicht? Die Antwort heisst dann: Ich glaube, dass es etwas Göttliches gibt. Oder: Ich glaube, dass es Gott gibt. Aber auch das ist oft so gemeint: Man weiss halt nichts Genaueres.

Wie immer lohnt es sich, bei religiösen Schlüsselwörtern zu graben, wo sie ihre Wurzeln haben.

Das deutsche Wort „der Glaube“ ist eine Übersetzung des griechischen Wortes πίστις pistis. Dort bedeutet es „Treue, Vertrauen“. Etwas glauben ist nicht das Gleiche wie sich auf jemanden verlassen, seine Existenz an jemanden binden, jemandem die Treue halten…

In der lateinischen Sprache heisst „glauben“ als Verb „credere“. Wir beten das Credo und kennen das Wort „Kreditor“. Es kommt von cor dare: „das Herz geben/schenken“, „sein Herz (auf etwas) setzen“.

Der Glaube als Substantiv heisst „fides“ und bedeutet Vertrauen, „sich anvertrauen“ und die Wurzel davon im Indogermanischen hat zu tun mit: begehren, lieb haben, für lieb erklären, gutheißen, loben.

Nur schon diese sprachliche Vielschichtigkeit öffnet uns den Horizont: Wir haben als Christen nicht einfach etwas für wahr zu halten und uns damit durch alle Schwierigkeiten des Lebens hindurch zu angeln, sondern wir glauben jemandem, nämlich Gott. Wir haben uns festgemacht in ihm. Wir sind ihm anvertraut, angetraut.

Wenn wir das Credo beten, heisst es also: Wir glauben dem einen Gott, dem Vater.

Glauben ist ein Beziehungsgeschehen mit dem lebendigen Gott, das unsere ganze Existenz betrifft.

Im Hebräerbrief wird uns heute erzählt, was vor Jahrtausenden passiert ist, als bestimmte Menschen diesem Gott ihr Herz gegeben haben. Als sie diesen Gott lieb bekamen, weil er attraktiv war. Er führte nämlich über das hinaus, was menschenmöglich schien:

Abraham liess sich auf das ein, was Gott ihm sagte, ohne zu wissen, was daraus wird. Wie vertrauenswürdig muss dieser Gott gewesen sein?

Er zog fort aus seinem bisherigen Leben, liess seinen Besitz zurück, wurde ein Fremder in einem fremden Land: Totale Entwurzelung, Rechtlosigkeit, Machtlosigkeit, Bedeutungslosigkeit.

Er folgte der Verheissung, die dieser Gott ihm gegeben hatte, Vater vieler Völker zu werden –  und blieb unfruchtbar. Über Jahrzehnte.

Auch seine Frau Sara hatte dieses Vertrauen. Sie trug alles mit und als alles unmöglich schien, empfing sie die Kraft, trotz ihres Alters noch Mutter zu werden.

Als der verheissene Erbe dann geboren war, sollte Abraham ihn loslassen, ihn Gott darbringen: Opfern, heisst das alte religiöse Wort. Verzichten auf die eigenen Vorstellungen, wie das mit der Verheissung jetzt weiter gehen soll. Abraham vertraute diesem Gott so sehr, dass er ihm auch zutraute, aus dem geopferten Sohn die Verheissung zu verwirklichen.

Und nun heisst es im Hebräerbrief: Seit Abraham gab es viele, die in diesem Vertrauen auf Gott gestorben sind. Sie haben wohl alle diesen Gott als verttauenswürdig erfahren, aber die Verheissungen verwiesen immer über ihr eigenes Leben hinaus.

Mit all dem wird uns gesagt: Gott führt die Weltgeschichte nicht ohne uns. Wir sind Teil dieser Verheissung. Mit uns soll etwas werden. Aber was werden soll, übersteigt unsere Fassungskraft. Wie ein Embryo im Mutterschoss keine Ahnung haben kann, was ihn nach der Geburt erwartet, welche Möglichkeiten in ihm angelegt sind, so wissen wir in diesem Leben nicht, was uns erwartet, wenn wir für die Ewigkeitsdimension geboren werden. Das Entscheidende besteht darin, Gott unser Vertrauen und unser Herz zu schenken, damit er uns nähren, formen und führen kann, damit all das, was Gott mit uns gemeint hat, Wirklichkeit werden kann.

Das setzt voraus, dass wir unsere Existenz als einen grossen Transformationsprozess begreifen und bejahen, dass es um einen lebenslangen „Umstülpungsvorgang“ geht. Immer neu und immer wieder ein Sprung über die eigenen Vorstellungen und Gewohnheiten hinaus ins Fremde, Ungewohnte hinein, das Gott uns öffnet. Ein solches Leben ist absolut abenteuerlich.

Es hängt tatsächlich von uns Menschen ab, wie sich die Weltgeschichte entwickelt. Von jedem einzelnen von uns. Es geht nicht darum, dass irgend etwas Wirklichkeit werden soll, sondern die Fülle der Liebe zwischen Gott und Mensch soll zu ihrer vollen Verwirklichung kommen.

 

Bilder: Petrus geht über das Wasser, er vertraut diesem Gott ganz und gar und überschreitet das Menschenmögliche. Quelle unbekannt

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
  1. Pia, Dein Mail erreichte mich während dem Aufräumen von Akten.
    Gerne liess ich mich von Dir „ablenken“ und in die Tiefe führen.
    Ein wunderbarer Text! Vielen Dank!
    Besonders schön finde ich die Passage: „…so wissen wir in diesem Leben nicht, was uns erwartet, wenn wir für die Ewigkeitsdimension geboren werden.“ Und schön auch der „Transformationsprozess „, „Umstülpungsvorgang“ – schön, aber auch unsicher… spannend… – dazu wird uns das Vertrauen als Wegzehrung geschenkt, so Gott will.

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