Die Quantenphysik sagt uns heute, dass die eigentliche Wirklichkeit nicht das Sichtbare ist, sondern das Unsichtbare. Alles Sichtbare ist verdichtete Energie, ist (streichen) Manifestation oder Ausdruck des Unsichtbaren. Es gibt eine Wirklichkeit, die nicht den Bedingungen von Raum und Zeit unterworfen ist. Sie ist „jenseits“ davon.
Dieses neue Verständnis der Schöpfung deckt sich mit der mystischen Welterfahrung, wie sie in der Heiligen Schrift, der Bibel, in einer bildhaften Sprache festgehalten wurde. Wenn wir beide Sichtweisen miteinander in Verbindung bringen, öffnet sich uns ein tieferes Verständnis unseres Lebens als Mensch.
Als Gott den Menschen erschuf, so erzählt uns das Buch Genesis, hat er das „Material“ dazu von der bereits bestehenden Schöpfung genommen. Die Schöpfung war als Werk Gottes bereits „beseelte“ Materie, denn sie wurde von der ruach überschwebt und vom „logos“ (griech. Wort)Leerschlag Gottes in Form gebracht (vgl. Gen 1,2). ruach ist im Hebräischen weiblich und meint die Leben wirkende Liebe Gottes, die über allem „brütet“ und durch ihre Wärme alles im Dasein erhält. Durch sie wird alles voller nefesch, voller Lebendigkeit. Das hebräische Wort nefesch meint eine Art Beseeltheit. Hildegard von Bingen nennt das die „Grünkraft“ der Schöpfung.
Nachdem Gott den Menschen geformt oder gebildet hatte und dieser eine psycho-physische Existenz (Viktor Frankl) geworden ist, der zusammenklingt mit allem, was geworden ist, ging die Erschaffung des Menschen noch weiter. In einem besonderen Akt hat Gott diesem bereits lebendigen Gebilde auf eine sehr intime Weise seinen Odem eingehaucht, also sein eigenes Wesen, sein Sein, seine Lebensdynamik. Gott hat „sich“ seinem Geschöpf „übereignet“, ihm sein eigenes Leben „zu eigen“ gegeben und sich ihm „mitgeteilt“. Das war ein Akt der Liebe, eine Hingabe Gottes an den Menschen. Hildegard von Bingen nennt diese Einhauchung des göttlichen Odems einen Kuss.
„Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Gen 2,7)
Für diesen Odem gibt es im Hebräischen ein Wort, das wir in der deutschen Sprache nicht kennen. Es heisst neschamah und wir übersetzen es nicht ganz zutreffend als „Geistleben, Geistseele“. Damit ist nicht der Intellekt, das Denken, der Kopf, das Abstrakte oder Nicht-Materielle gemeint, sondern das Herz. Für den Hebräer ist das Herz der Sitz der Person, des Bewusstseins, der Freiheit, der Verantwortung und der Entscheidung. Durch diese „Herz-Dimension“ wird „Adam“ ewigkeitsfähig, gottfähig, unsterblich.
Dieses Leben Gottes als Erstlingsgabe an uns Menschen nenne ich den göttlichen Eros.
Wir können ihn erfahren als Lebensverlangen oder Lebenstrieb. Dieses Lebensverlangen treibt uns über das Bestehende hinaus, will alles Durchdringen, Erkunden, Erfahren und Erobern. Dieses Verlangen ist notwendig für die Begegnung mit der Welt als Werk Gottes, für die Begegnung mit dem Du als dem Fremden, Andern. Die religiöse Sehnsucht nach Gott, nach dem Sattwerden am Vollkommenen, hat im göttlichen Eros in uns ihre Wurzel.
Sigmund Freud hat den Eros als Lebenstrieb reduziert auf die Sexualität, ihn losgelöst gesehen von seiner Herz- Dimension und deshalb nicht wirklich erfasst. Unser menschliches Lebens- und Liebesverlangen gehört zu dem, was unsterblich ist.
Nach jüdischem Verständnis ist uns Menschen mit der neschamah auch das „Wort“ geschenkt, der „logos“ (griech.). Wir sind dadurch zu einem „Jemand“ geworden, der sprechen kann. Das meint nicht „reden“, wie wir es im Alltag tun, sondern ein Bewusstsein haben von uns selbst, ein „Innen“, das nur uns gehört und das wir ausdrücken können durch das „Wort“. Auch wir können uns im Wort „übereignen“, uns einem Andern „mitteilen“, was in uns verborgen ist zum Ausdruck bringen. Wie Gott.
Adam, der Erdling, ist durch die neschamah zur Person geworden. Das Wort „Person“ kommt vom Lateinischen „personare“, d.h. „durchtönen“. Weil wir ganz und gar von der Lebendigkeit Gottes bewegt sind, weil wir ganz Schwingung sind und klingen, sind wir ein Resonanzraum Gottes. Je mehr wir empfänglich sind, umso intensiver wird unsere Lebendigkeit.
schöpferische Mitte, mit einem Lebens- und Liebesverlangen, das über sich hinaus will, das nicht satt wird an sich selber, sind wir gemacht für Beziehung, für die „Selbst-Mitteilung“. Wir werden durch Beziehung prozesshaft immer mehr „Ich“ am „Du“. (Martin Buber) Das ist unsere eigentliche Resonanzfähigkeit.
Diese Fähigkeit ist kein „Reagieren“ in festgelegten Ordnungen, sie ist schöpferisch. Wir können entscheiden, was wir verlangen und denken, wie wir reden und handeln. Wir haben Gestaltungsspielraum, wie wir uns in unserem Leben „zum Ausdruck“ bringen. Der Sinn unseres Lebens besteht darin, unser ganzes Sein zu einer „Ant-Wort“ zu machen, unserem Lebens- und Liebesverlangen eine Gestalt zu geben aus der Lebensdynamik des göttlichen Odems.
Wir sollen das anvertraute Potential der Schöpfung zu seiner vollen Möglichkeit führen, es zum Klingen, zum Blühen bringen, damit es zu einem Resonanzraum der unsichtbaren göttlichen Wirklichkeit wird. Das ist unser eigentlicher Schöpfungsauftrag.