Das Paradies des Menschen und das Paradies Gottes (Jes 35,1-6a.10)
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Wahrscheinlich haben noch nie so viele Menschen so grosse Anstrengungen auf sich genommen wie in unserer Zeit, um sich ihr kleines privates Paradies zu schaffen. Es ist die Werbeindustrie, nicht „die Kirche“, die diese Sehnsucht nach dem Paradies nach allen Regeln der Werbekunst weckt und wach hält. Und nicht wenige Wissenschaftler arbeiten daran, einer Elite von Menschen ein „ewiges Leben“ auf dieser Welt oder vielleicht auch auf dem Mars zu ermöglichen, in einem perfekt funktionierenden Körper und einem vollautomatisierten Umfeld. Perfektes Funktionieren als das Höchste der menschlichen Möglichkeiten!
Wahrscheinlich sind noch nie so viele Menschen unmittelbar damit konfrontiert worden, wie die Bemühungen um ein kleines persönliches Paradies weltweit die Grundlagen zerstören, die wir zum Leben brauchen, und zwar auf allen Ebenen: leiblich, seelisch und geistig. Die Kehrseite unseres Paradieses, das wir erstreben, ist die Hölle!
Wenn wir tiefer blicken, können wir erkennen, wie unsere Sehnsucht nach dem Paradies verknüpft ist mit einem ganz bestimmten Menschenbild in Verbindung mit dem entsprechenden Gottesbild.
Wir wissen, wie auch im Christentum über Jahrhunderte Gott vor allem als Allherrscher, als Allmächtiger gesehen wurde. Dieser Gott thronte im Himmel als „Alleiniger“ – als Monos, wie es im Griechischen heisst oder als „unbewegter Beweger“ – über der Welt, fern von den Menschen. Aufgabe des Menschen war es, zu tun, was diesem Gott gefällt. Wer es nicht tat, hatte Angst vor Strafe. Dieses Gottesbild ist eine menschliche Projektion. Es entspricht nicht der christlichen Offenbarung.
Was wir früher in Gott hineinprojieziert haben, nehmen wir nun für uns selber in Anspruch. Wir haben uns von diesem Gott befreit, von der Unterordnung unter eine fremde göttliche Herrschmacht. Wir wollen nun selber Gott sein, autonom, autark. Wir wollen über das Leben verfügen und nicht sterben. Wir wollen über die Mittel verfügen und der Rest der Menschheit ist dazu da, uns nützlich zu sein. Das entspricht nicht einem christlichen Menschenbild.
Wenn wir nun hören, was der Prophet Jesaja verlauten lässt, dann haben wir es mit einem ganz andern Paradies zu tun.
Nirgendwo geht es um Funktion und Nutzen. Nirgends um Perfektion. Die Schöpfung, die wir in unserer Gesellschaft auf ihre Verwertbarkeit hin scannen, wird uns hier als Werk Gottes vorgestellt, das eine unsichtbare Wirklichkeit offenbart.
Es geht um Freude, um Jubel, um das Aufblühen von Leben in der Wüste. Es geht um die letzte, tiefste Wirklichkeiten unserer Sehnsucht: Um ekstatisches Jauchzen, Pracht und Herrlichkeit. Nicht um irgend eine Kunststoff-Herrlichkeit, sondern um die reale Herrlichkeit Gottes, um seine ganze Pracht als die Fülle des Seins.
Seht, hier ist euer Gott, den ihr aus den Augen und aus dem Sinn verloren habt, aus eurer Herzmitte, die zur Wüste geworden ist. Seine Pracht und Herrlichkeit wird euch geschenkt. Ganz umsonst. Und man wird sie in euch leuchten sehen. Alles soll wieder gut werden! (Gen 1)
Das ist die Werbebotschaft Gottes für seine Art von Paradies.
Unser menschliches Leben in der Ödnis des Funktionalen und Verwertbaren wird aufgebrochen auf etwas ganz Anderes hin. Wir sollen lebendig werden. Wie Gott.
Macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest! Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht!
Wenn die Herrlichkeit Gottes einzieht in unser Herz, dann verschwindet die Blindheit, die Taubheit, die innere und äussere Lähmung. Die Sprachlosigkeit wandelt sich zu poetischem Jubel.
Es bleibt die Frage nach dem Bösen:
Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung; er selbst wird kommen und euch erretten. Also doch ein rächender Gott?
Wenn wir an all die Grausamkeit und Bosheit denken, die wir heute kennen, verbunden mit der entsetzlichen Ohnmacht der Unschuldigen – sollen wir nicht erwarten dürfen, dass Gott dem ein Ende bereitet?
Wenn Gott sich in seiner Herrlichkeit offenbart, werden alle falschen Gottesbilder und Selbstbilder zerfallen. Das ist für die einen die Erlösung, der Himmel, für die andern die Hölle, weil sie nichts in sich entwickelt haben, das mit Gott übereinstimmt. Sie sind dann Fremdlinge in der Gegenwart Gottes. Gott mit seiner Liebe wird ihnen unerträglich sein, eine Qual. Und es gibt keinen „Ort“, wo Gott nicht ist.
Wenn wir das Paradies Gottes ersehnen, weil wir uns auf seine Werbung verlassen, werden wir uns erfahren als geliebt und gewollt. Wir werden wissen, wohin wir gehören.
Wonne und Freude stellen sich ein, Kummer und Seufzen entfliehen.
Das Paradies ohne Zerstörung.
Gott selber.
Audio: Impuls, Abendgebet-Sequentia, Stadtkloster Zürich, 14.12.2019
Bilder: Paradiesstrasse, Christoph Wider; Singender Mann, Robert-Kneschkeotolia, Fotolia
Danke!
Ich wünsche Dir eine aufblühende Weihnachtszeit!
Danke für die Impulse. Ein gesegnetes und friedvolles Weihnachtsfest und Gottes Geleit in Neuen Jahr mit viel Kraft, Mut, Gesundheit wünsch ich Dir.
Liebe Marlene, danke für Deine Verbundenheit. Auch Dir Gottes Segen für das kommende Jahr. Pia
Liebe Pia – ich lese immer mit großem Wohlgefallen deine Artikel, hab aber erst diesmal Zeit für ein Kommentar gefunden und zwar zum Artikel „Theotokos“ ! – (Leider hab ich diesen im Internet verloren, nachdem ich ihn kopiert hatte! Drum will ich jetzt meinen Kommentar über diesen Text hierher schreiben und hoffe, er erreicht dich! – Es ist nur eine kleine Bemerkung.)
Ich habe über das am Schluß erwähnte Ursprungsverhältnis : Christus – Maria, näher nachdenken müssen und bin zu folgendem Schluss gekommen, der dies näher erläutert. (Deine Meinung dazu zu hören, ob ich dich richtig verstanden habe – würde mich freuen!)
Christus gibt den Weg zu Gott dem Schöpfer vor, in uns Menschen verständlicher zugänglicher Weise + Maria lenkt und lotet in ihrer Gottverbundenheit – aus unseren vielen, der menschlichen Freiheit gemäßen Möglichkeiten – den nächsten Schritt aus, der uns auf unserem Weg zu Gott hin führt. – In Verbundenheit mit beiden (bewuss oder unbewusst ?) wächst in uns die Chance, Anteil an der neuen Schöpfung zu gewinnen.
Liebe Inge, das beste Bild für das Zusammenspiel von Christus und Maria und mir als Mensche sehe ich im Verhältnis von Vater, Mutter und Kind. Im Mutterschoss wächst das Kind ja ganz aus der Substanz der Mutter, bis es durch die Geburt in ein eigenständiges Dasein tritt. Trotzdem bleibt die Mutter „die Herkunft“, der Boden. Weil das Kind aber vom Vater gezeugt ist, ist der Vater genauso seine Herkunft, die sich ihm auf neue Weise nach der Geburt offenbart. Heute weiss man immer mehr, wie wichtig der Vater für das Kind (auch über die Mutter) ist bereits während der Schwangerschaft. Nach der Geburt wird der Vater wichtig für das Kind, damit es aus der Symbiose mit der Mutter hinausfindet. Weil der Vater als Geliebter der Mutter absolut vertrauenswürdig ist, so wird der Vater zur vertrauenswürdigen Instanz, die dem Kind gestattet, die Herkunft zu überschreiten und damit seine Zukunft zu finden. Der Vater „ruft“ also über das Seiende hinaus, weckt das Potential. Und so sehe ich das auch mit uns: Unsere Gottfähigkeit wird uns eingezeugt, wir wachsen heran mit diesem Potential im Mutterschoss der Schöpfung, bis wir erwachen auf Gott hin, bewusst in diese Beziehung hineinwachsen. Dies ist möglich, weil Gott durch Christus, durch sein Wort und seinen Geist, uns herausruft über das Vergängliche hinaus, in die Gottfähigkeit hinein. Ich weiss nicht, ob das verständlich ist. Lieben Gruss, Pia
P.S. Du findest den Artikel immer, wenn Du auf meiner Webseite auf „Blog“ in der Menuleiste gehst. Dort kann er eigentlich nicht verloren gehen.
Schönes Bild – danke, liebe PIA – total gut zu verstehen! – Die Frage aber bleibt offen: wie siehst Du die Rolle von Maria, der Mutter in der Entwicklung des Kindes nach der „Überschreitung seiner Herkunft“ mit Hilfe des Vaters? – Kann man sagen: dieser Prozess wiederholt sich im Leben immer wieder – womöglich auf einer immer höheren Ebene? – Die Geborgenheit in der Mutter dann immer wieder zu finden – bleibt!…?
Auf jeden Fall wünsche ich Dir, gute, mutige Schritte im Neuem Jahr! – herzlich, Inge
Liebe Inge, wenn in unserem raumzeitlichen Leben ein Mensch Erwachsen ist, ist er mit seinen Eltern auf Augenhöhe. Doch immer bleiben die Eltern die Eltern. Das Verhältnis von Urspruch und Frucht des Ursprungs bleibt. Dies ist ein Bild für ein Geschehen in der Dimension des Ewiggültigen: Wir sollen ja mündige Erben Gottes werden, auf Augenhöhe mit Christus und Maria kommen – aber immer werden wir ihre Söhne und Töchter sein, weil wir ja aus ihnen hervorgegangen sind. Wir haben nie diese Fülle der Liebe und Hingabefähigkeit, wie Christus und Maria, aber wir haben alle Anteil nach unserem Mass und nach unserer Art.