Überspringen zu Hauptinhalt

Zwischenraum und Zwischenzeit

Die eigentliche Wirklichkeit

Wir befinden uns liturgisch in einer Zwischenzeit, im Dazwischen von Auferstehung und dem, was wir die Himmelfahrt Christi nennen. Diese Zeit ist voller Hinweise auf die neue Dimension, die Christus uns öffnet.

Er starb am Kreuz, wurde in die Grabhöhle gelegt, und dann war er weg, physisch nicht mehr auffindbar.

Bei Johannes (20,1-10) ist es Maria von Magdala, die nach dem Sabbat, bevor es hell wurde, als Erste zum Grab kam. Sie sah, dass der Stein vom Grab weggewälzt war und rannte entsetzt zu Petrus und Johannes. Als die beiden zum offenen und leeren Grab kamen, wo sie nur die Leinenbinden sahen, heisst es nur von Johannes: Er sah und glaubte. Johannes ist der Jünger, der an der Brust Jesu ruhte, wie Christus am Herzen des Vaters. D.h. er hatte eine besondere Schaukraft des Herzens und so „sah“ er das Neue.

Maria von Magdala irrt im Garten umher. Als sie einer Gestalt begegnet, meint sie, es sei der Gärtner. Man merkt, wie sich hier die Wahrnehmungswelten verschieben. Erst als diese Gestalt ihren Namen nennt, kommt sie zu sich, erkennt Christus und stammelt das erlöste „Rabbuni“.

Warum erscheint Christus zuerst dieser Frau? Hätte er sich nicht genauso gut direkt den Jüngern zeigen können, als diese zum Grab gerannt kamen?

Christus gibt Maria einen Auftrag (20,17). Warum ihr?

Dieser Auftrag enthält eine Redewendung, die wir überlesen, die aber auf eine Tiefe der Offenbarung Gottes verweist: Gehe zu meinen Brüdern, und sag ihnen… Warum sagt er nicht: Geh zu deinen Brüdern und sag ihnen….

Wir wissen, dass Mann und Frau als Bild Gottes etwas vom tiefsten Sein Gottes offenbaren, die Einheit und Polarität des Lebens. Dieses Bild ist zerbrochen und damit das Wesentliche der Offenbarung verdunkelt, verzerrt. Die Erlösung der Schöpfung und der Menschheit besteht darin, das Bild Gottes wieder herzustellen. Das Männliche und das Weibliche sollen wieder Gott offenbaren.

Christus stellt sich mit seinem Auftrag an Maria offensichtlich in die Reihe des Männlichen. Als neuer Adam ist er das Gegenüber des Weiblichen, für das Maria Magdalena steht. Durch ihre Befreiung von den sieben Dämonen ist sie von Christus geheilt worden von der Fülle des Gottwidrigen und so neue Schöpfung geworden, neue Eva, und zwar vor seinem Tod. Durch diese Erfahrung hat sie ein Wissen um die todüberwindende Lebensmacht Jesu wie keiner der Jünger. Sie hat damit einen einzigartigen Zugang zum Geheimnis der Auferstehung. Sie kann wie niemand sonst ermessen, was es bedeutet, dass Christus Sünde und Tod in einer universalen Dimension überwunden hat. Deshalb ist sie die eigentliche Zeugin der Auferstehung, wie keiner der Jünger es sein konnte. Deshalb ist sie die Apostelin der Apostel.

Die Begegnung zwischen Christus und Maria von Magdala im Garten verweist auf das Paradies. Es ist wieder offen. Die Herrschafts- und Abhängigkeitsstruktur zwischen Mann und Frau wurde durch Christus gewandelt in liebende Beziehung. Die Erfahrung mit Christus als dem neuen Adam hat Maria von Magdala erlöst und zu einer freien liebenden Frau gemacht. Ein freies Gegenüber von Christus und seinen Brüdern. Als Zeugin dieser erlösten und erlösenden Liebe soll sie zu den Jüngern gehen.

Wenn Christus die Jünger seine Brüder nennt, zeigt sich damit, dass diese nun gerufen sind, wie er zu lieben. Heimzukehren in die liebende Hingabe für die Menschen, die ihnen anvertraut sind, besonders für „die Frau“, für die Kirche als mater ecclesia, als Mutter aller Menschen. Ihr persönlicher Umkehrweg besteht darin, wie Christus „neuer Adam“ zu werden und Zeugen dieser erschienenen Liebe Gottes zu sein. Diese Liebe ist nicht hierarchisch, weder zwischen Mann und Frau noch zwischen Gott und Mensch. Denn Christus gibt sich hin für seine Braut, als nährende, aufbauende Speise und herzerfreuenden Wein, damit diese Braut zu ihrer vollen Entfaltung kommt, damit sie das wird, was sie von Gott her sein soll. Das ist der Kern der frohen Botschaft.

In dieser Zeit des Dazwischen wird uns noch ein anderer Blick geschenkt in die neu eröffnete Dimension: Es geht um die Existenzweise nach unserem Tod. Christus ist in den vierzig Tagen nach seiner Auferstehung plötzlich sichtbar, anwesend, dann wieder weg, fast gleichzeitig an zwei Orten; er kann durch verschlossene Türen gehen, ist nicht an Raum und Zeit gebunden. Trotzdem kann er essen und trinken.

Seine Gestalt verändert sich, je nach Situation, je nach Botschaft. Die Jünger auf dem Weg nach Emmaus sehen offensichtlich an seinen Händen keine Wundmale. Das wäre ihnen aufgefallen. Sie erkennen ihn erst beim Brechen des Brotes.

Als Christus den Jüngern in Jerusalem das erste Mal erscheint, zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite mit seinen Wunden. Er will ihnen zu erkennen geben, dass er es ist, mit dem sie drei Jahre unterwegs waren.

Christus offenbart uns in dieser Zeit, wie Schöpfung ist, die ganz vom Geist durchdrungen ist, die ganz dem Geist gehorcht, die das Geistige zum Ausdruck bringt. Damit ist auch gesagt: Es gibt für uns Menschen eine bleibende Identität. Ich bleibe Ich. Was ich in Raum und Zeit gelebt habe und geworden bin, das bin ich auch jenseits von Raum und Zeit.

Das neue Dasein ist nicht mehr an die uns bekannten Bedingungen von Raum und Zeit gebunden. Es ist „geistiges“ Leben. Dieses geistige Leben ist nicht gestaltlos, sondern Gestalt ohne vergängliches Fleisch und Blut. Lichtgestalt. Deshalb auch ohne Krankheit und Beschädigung, ohne Vergänglichkeit, ohne Beeinträchtigung des Erkennens und Erfahrens.

Auferstehung ist kein naturhaftes Geschehen wie das Herausschlüpfen des Schmetterlings aus dem Raupendasein, sondern ein Schöpfungsakt Gottes im Zusammenspiel mit unserer Freiheit. Auferstehung ist eine Geburt, eine grosse Transformation. Es braucht dazu unser Ja, wie es Christus am Kreuz gegeben hat: Die Hingabe unseres Ich an Gott in Freiheit. Diese Hingabe fängt an bei der Taufe und ist nötig bis zum Tod. Das ist der Weg zu einer immer grösseren Freiheit von den Lasten der unerlösten Schöpfung.

Bilder: Engel am Grab, KLoster von Mileseva um 1230; Herkunft unbekannt

Kommentar schreiben

Dieser Beitrag hat 0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

An den Anfang scrollen